Gut geschlafen, völlig ausgeruht, grauer Morgen und Nieselwetter,
verlasse ich die Ruinen unserer Nordstadt, um mit einem öffentlichen
Verkehrsmittel in das Zentrum zu fahren. Die Zeitung in der Hand, auf den
Bus wartend, las ich die Meldung, wir sind nicht nur die ärmste Stadt
in Deutschland, sondern haben auch den grösstem Bestand an heruntergekommener
Bausubstanz in Niedersachsen. Ich ließ meinen Blick schweifen und
vergewisserte mich, ob der Schutt, an dem ich Anteilseigner bin,
die dem geübten Blick markant ins Auge stechenden Bauruinen unserer
Baugenossenschaft mit Weltniveau gegenüber der Haltestelle noch an ihrem
Platze standen. Sie waren noch nicht zusammengefallen, sondern streckten
ihre rissigen abgeblätterten Bauhaus-Fassaden, geziert von rostigen
Stahlträgern weggebrochenen Fenstergesimsen trotzig in den grauen Nieselhimmel.
Sie muckten noch auf. Ich stand da nun am Strassenrand und bestaunte immer
wieder neu die Überreste einer ehemaligen Bank, die, da öffentliches
Eigentum, schon einmal zum Anlass eines Behördenbesuches war.
Getreu dem Motto: „Es muß ein Ruck durch Deutschland gehen”; „Vom
Bürger ist mehr Zivilcourage zu erwarten ...” stieg ich in den Bus.
Heinrich, sagte ich zu mir, bleibe ruhig, nur nicht aufregen, die Dusche
aus der Gosse war keine Mißfallenskundgebung des Busfahrers. Also blieb
ich ruhig, denn schließlich glaubte ich an einem schönen Tag
...
Als erstes stand ein Besuch bei der Justiz auf dem Plan. Ich suchte
und wurstelte mich so durch, fand einen Terminzettel, stellte fest, es
stand der Name eines anderen Staatsanwalts drauf als der, der gerade anwesend
war. Na ja, dachte ich bei mir, dass ist ja nichts neues und schon des öfteren
passiert! So ein dutzend Prozeßparteien zwischen 09.00- 10.00 Uhr
sind ja nur die Vorspeise in einer gutgehenden eiligen Justiz eiliger Juristen
und Anwälte, denen die Arbeit unter den Nägeln brennt und die
sich vor Diensteifer überschlagen. Schließlich waren später
am Tage Vorträge, der Golfplatz oder andere Nebenbeschäftigungen
auf dem Plan? Hätte eigentlich schlimmer kommen können,
denn 108 Verfahren zur gleichen Stunde als Sammeltermin wurden durch die
inzwischen politisch erledigte Justizministerin Heidi Alm-Merk, SPD verboten.
Man begnügt sich heute mit weniger. 2-3 Termine zur gleichen Zeit schafft
ein fleißiger Richter heute locker im Simultanverfahren.
Saustall Justiz -Zitat BILD-Zeitung- war einmal eine Schlagzeile.
Welcher verblendete Journalist mochte das, den Fleiß der Richterschaft
verkennend, verbrochen haben? Gewiß läuft der heute nicht mehr
frei oder in der Zwangsjacke herum?
Also sagte ich zu mir selbst, wende dich mit Güte und Wohlwollen
zu, sei milde und hilfreich, diese Staatsalimentäre arbeiten noch
am Rechtsstaat, und steuerte die Zierde der Stadt, die Burg mit dem hohen
Bergfried mit dem Adlernest an, von dem Ausschau nach dem eigenen Kirchturm
gehalten wird, Abteilung Unternehmensführung, Kommunaler Bürokratenwahn,
um einen Herrn Ruppig zu treffen. Ich wurde im Vorzimmer freundlich mit
Namen begrüsst und fühlte mich sofort wohlwollend angenommen.
Die Dame versuchte freundlich und zuvorkommend mein Anliegen und meine
eMail-Adresse zu notieren. Jäh wurde dieser Amtsakt durch eine Kollegin,
eine aparte, aber offensichtlich hyperaktive „schnuckelige Maus“ unterbrochen.
Mit hoher akzentuierter Stimme sonderte sie Begriffe wie Bürgerberatung,
diverses, was nicht zum Thema gehörte, und sonstiges ab, was überflüssig
war, störte, und das Thema, die Notierung einer Adresse, weit verfehlte,
ja sogar noch weit übertraf, ganz weit weg, wo Himmel und Erde aneinander
stoßen. Sofort erinnerte ich mich an ihre gute Herkunft als engagierte,
wenn auch einfache Sachbearbeiterin, und musterte diese dem Anschein
nach feurige mutige Kämpferin für das Gute im Amt mit lüsternen
Blicken, derweil ich mir formvollendet nach den Regeln der Geschäftsordnung
der Behörde jede Einmischung in meine Angelegenheiten verbat. Der Feuerengel
rauschte daraufhin mit glühendem Schweif aus der Amtsstube, ich schloß
freundlich Tür mit großen Bedenken, dadurch eine hochemanzipierte
Frau zu verletzten, die sich das verbitten könnte, da sie das selber
kann, als emanzipierte Männin. Ich blieb also mit einem versteckten
Schuldgefühl zurück, etwas unanständiges getan zu haben.
Das Schuldgefühl wurde unmittelbar darauf bestätigt, als sie zurückkam,
die Tür wieder öffnete und verbal jede Beherrschung verlor.
Ich hatte also etwas falsch gemacht. Ich lernte daraus, nie wieder einer
hochemanzipierten Männin die Tür aufzuhalten oder in den Mantel
zu helfen. Der im Hintergrund tobenden rohen Gewalt mutig den Rücken
zukehrend wandte ich mich wieder der immer noch ruhigen Gastgeberin zu und
dachte: Heinrich bleibe ruhig, die Gewalt ist weiblich, die Gewalt geht von
Frauen aus. Der erneute Anlauf, eine Notiz zu fertigen, wurde sofort gestört
durch ein aufgestyltes Discogirl, welches sich nun helfen wollend mit spitzer
Stimme raumfordernd einmischte und sich erbot, der eher mütterlichen
Kollegin - meiner Gastgeberin - beim Schreiben zu helfen. Das mißlang.
Die gute Gastgeberin wurde von der Hilfsbereitschaft der Amazonen überwältigt
und ging darin unter. Nun erlaubte ich mir die Frage, ob es technisch erforderlich
sei, dass drei Amtsmänninnen benötigt werden, um am Versuch zu
scheitern, eine Notiz anzufertigen. Das mit Blick darauf, dass die Verwaltung
und Nebenfolgen über 50 % des Bundeshaushalts verzehren, was sich einfach
erklärt, wenn ein Amt drei hochgerüstete Damen benötigt,
um daran zu scheitern, eine einfache Adresse zu notieren, die ohnehin amtsbekannt
ist. Was ist erst bei gewichtigen Aufgaben wie einem Antrag oder einer Steuererklärung
für ein Personalbedarf nötig? Daran hatte noch niemand
gedacht, das war intellektuelles Neuland.
Dieser Spuk dauerte einige Minuten, die Tür ging auf, der Gesuchte
kam herein, dass Anliegen könne geklärt werden, ...., dachte
ich! Richtig war, wie sich herausstellte, Herr Ruppig hatte keine Zeit
und machte damit klar, die gerügten Mängel - dem Zusammenfall
der wertvollen Bausubstanz in dieser an Armut überreichen Stadt Einhalt
zu gebieten - so bestehen zu lassen und die ärmeren Bürger der
Stadt weiter in diese hochnoblem besonderen Merkmale der Stadtarmut zu
kasernieren gegen Mieten und Wohngeld, von dem ein Richter schon Überzahlung
festgestellt hatte. Nun ja, so eine rechte oder linke oder sonstige Hand
der Direktion hat viele wichtige Aufgaben, und dass die Stadt zusammenfällt
weiss man ja längst selbst. Ärgerlich, sehr ärgerlich, wenn
da Bürger hereinschneien, die das bemerken. Es ist poltisch nicht
korrekt, Amtswalter daran zu erinnern, dass sie dafür alimentiert
werden, Dinge nicht zu erledigen, die sie hätten erledigen können,
wenn sie dazu in der Lage wären. Das bedenkend schämte
ich mich des Besuchs bitterlich und schlich zerknirscht von dannen.
Vor der Tür erinnerte ich mich wieder an die starken Worte des
OBM im Wahlkrampf. Die Stadt solle wie ein erfolgreiches Unternehmen geführt
werden.
Ich hielt inne und zählte an den Fingern ab, was ein erfolgreiches
Unternehmen ausmacht: eine Verwaltung, die weniger als 3 % kostet, eine
schlanke, freundliche Verwaltung, bei der der Kunde König ist, ein
herausgeputztes Äußeres, das Würde, Engagement, Erfolg und
Reichtum ausstrahlt, motivierte Mitarbeiter, die gut entlohnt werden und
sich große Autos leisten können. Solche Unternehmen haben Geld,
viel Geld, noch viel mehr Geld, als ich tragen kann. Dann sah ich mich um
und stellte mir die Schlüsselfrage des Seins: „Wo bin ich hier?“ Ich
sah mich und und fand mich in der ärmsten Stadt Deutschlands, die sich
noch leisten kann, überteuerte Mieten in Bauruinen zu zahlen und dort
die Ausländer als Vorzeigeinternationalität einer Kultur- und Wissenschaftsmetropole
einzuparken. Ich kniff mich daraufhin in die Finger an der anderen Hand,
um mich zu vergewissern, das ich noch existiere. Ich überlegte, in der
Nase nach Erdöl zu bohren, um der Armut den Laufpaß zu geben,
fand das jedoch unschicklich und poltisch nicht korrekt.
An dieser Stelle geschah aber, dass mich die Gedanken an geile Titten,
Mösen und Ärsche überwältigten, die jeden Mann überwältigen,
wenn er nichts besseres zu tun hat, und zugleich dachte ich daran, dass
emanzipierte Männinen wählen können zwischen sportiven „achtpack-Bäuchen“
und Ausgangsmassen 23 x 12, oder Dildos gleicher oder anderer Masse, die
immer stehen, die rattern, klingeln, brummen und im Dunkeln leuchten können.
Ich blickte betrübt in mich hinein und stellte fest, dass ich weder
rattern, noch klingeln noch leuchten konnte, und außerdem hatte ich
ohnehin keine Zeit.
Wer nun denkt, hier endet die Rundreise, der irrt gewaltig. Erlebnisreich
ging die Reise weiter mit einem Besuch der sich in Auflösung befindlichen
Bezirksregierung.
Ich betrat ziellos das Gebäude und steuerte wahllos auf ein
Dienstzimmer zu. Es war später Vormittag, vorsichtiges Anklopfen, gedehntes
„Herein“ und was fand ich vor: Die Zeitung, eine Nachtischlampe mit Familienfoto
-sprich Monitor-, Computer eingeloggt und das Netzwerk belastend- einen
schlaffen Staatsdiener im überheizten Büro.
Kurze knappe Fragen und Antworten und Verweis auf Zimmer 666. Dort angekommen,
zaghaftes Anklopfen, die Dame war ausgeflogen. Nach 20 Minuten warten und
Zeitvertreib mit zwei suchenden Kollegen kam die Dame in ihr Büro zurück.
Das Problem kurz umrissen, erklärte sie sich für befangen,
weil sie Ratsfrau bei der Abteilung Unternehmensführung, Kommunaler
Bürokratenwahn sei und deswegen keine Aufsicht über die Verwaltung
und Bauaufsicht ausüben könne. Vor Hilfsbereitschaft überströmend
verwies Sie auf den Kollegen von nebenan.
Diesem nun das Problem erklärt, nebst allen Randerscheinungen,
beiläufig auf die vorhandene Behinderung verwiesen, schrie dieser auf
einmal auf, ich Heinrich Hirnbeiß, sei ein Betrüger, Behinderter
sein sei „wohl mein Hobby“. Sofort verbat ich mir diese Beleidigung unter
Vorlage meines Behindertenausweises mit 100 % als „Ernsthafter Beruf“ mit
allen sozialstaatlichen Orden, Ehrenzeichen und Ausführungsbestimmungen
und verlangte die Niederschrift.
Das übliche Spiel begann: "Schreiben Sie mal"! Etwas freundlicher
und vorsichtiger geworden wollte dieser überaus nette Staatsdiener
sich verwenden und erklärte im gleichem Atemzug, heute nicht,
und morgen gehe er in den Urlaub, also dann erst in 3 Wochen. Ausserdem habe
er im Aussendienst noch etwas zu erledigen. So dachte ich bei mir: Heinrich
bleibe ruhig, der Mann ist reif für die Kur, oder was es sonst noch
gibt. Wir verabschiedeten uns betont freundlich, gingen ein Stück den
Flur entlang, wobei er in eine Geburtstagsfeier entschwand. „So heißt
das jetzt“, dachte mir, und machte eine Notiz, das ich das noch nicht kannte,
das man das jetzt Außendienst nennt.
Man sollte die Welt so nehmen , wie sie ist, aber man sollte sie nicht
so lassen.